Well-established technologies
Was fordert die MDCG 2020-6?
Viele Medizinprodukte sind bereits viele Jahre oder sogar Jahrzehnte auf dem Markt. Doch zählen sie damit automatisch zu den „well-established technologies“, den bewährten Technologien? Was bedeutet das konkret für die von der MDR geforderte klinische Evidenz? Dr. rer. nat. Marion Fehlker von novineon CRO beschreibt im Folgenden, was MDR und MDCGs unter bewährten Technologien verstehen und welche klinischen Anforderungen an Produkte dieser Gruppe gestellt werden.
Definition
Die Medizinprodukteverordnung 2017/745 (MDR) liefert keine Definition für „bewährte Technologien“. Sie spricht lediglich von Produkten, die ähnlich sind zu den in Artikel 61, Absatz 6(b) genannten Produkten, nämlich zu: „Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen, Schrauben, Keilen, Zahn- bzw. Knochenplatten, Drähten, Stiften, Klemmen oder Verbindungsstücken“.
Das MDCG 2020-6 Dokument setzt hier an und betont, dass es sich bei den bewährten Technologien nicht ausschließlich um die genannten Produkte handelt, sondern ausdrücklich auch um ähnliche („similar“).
Als Merkmale für Produkte bewährter Technologien werden in der MDCG 2020-6 genannt:
- einfaches, gebräuchliches und gleichbleibendes Design mit wenig Weiterentwicklung
- die generische Produktgruppe ist bekannterweise sicher und wurde bisher nicht mit Sicherheitsproblemen in Verbindung gebracht
- gut bekannte Leistungscharakteristik
- Produkte der Standardversorgung mit wenig Weiterentwicklung
- seit langem auf dem Markt
Aus Sicht der MDCG 2020-6 können daher alle Produkte, die diese Kriterien erfüllen, als bewährte Technologien gelten.
Unter „legacy devices“ – also Bestandsprodukten –, versteht das MDCG 2020-6 Produkte, die bereits unter den Medizinprodukte-Richtlinien 93/42/EWG (MDD) oder 90/385/EWG (AIMDD) auf dem Markt waren. Ein Produkt mit bewährter Technologie kann daher gleichzeitig auch ein solches Bestandsprodukt sein, muss es aber nicht.
Klinische Bewertung nötig
Klinische Bewertungen basierend auf ausreichend klinischen Daten sind für alle Produkte notwendig, auch für Produkte, die in der MDR, Artikel 61, Absatz 6(b) genannt werden, das stellt MDCG 2020-6 klar.
Allerdings benötigt diese Untergruppe von Produkten nicht zwingend klinische Prüfungen, auch wenn sie bisher nicht CE-gekennzeichnete Klasse III-Produkte oder Implantate sind.
Auch für bewährte Produkte sind klinische Bewertungen und PMCF-Maßnahmen gefordert
Dies gilt allerdings nur für die genannte Untergruppe und nicht generell für alle Produkte bewährter Technologien. Die klinische Bewertung für Produkte bewährter Technologien kann auf klinischen Daten zu ähnlichen Produkten („similar devices“) beruhen. Insbesondere können Daten zu ähnlichen Produkten auch herangezogen werden, um zu begründen, dass ein Produkt zur Gruppe der bewährten Technologien gehört – entsprechend den obengenannten Kriterien. Anhand dieser Daten können beispielsweise die Ubiquität des Designs, die fehlende Neuartigkeit sowie das bekannte Sicherheits- und Leistungsprofil der generischen Produktgruppe gezeigt werden.
Nur im Ausnahmefall ohne klinische Daten
Falls der Nachweis der Übereinstimmung mit den allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen auf Basis klinischer Daten als ungeeignet erachtet wird, können entsprechend MDR Artikel 61(10) auch Ergebnisse nicht-klinischer Testmethoden, z.B. technischer Prüfungen und vorklinischer Bewertungen, herangezogen werden. Dieses Vorgehen ist allerdings anhand der besonderen Merkmale des Produkts und der bezweckten klinischen Leistung stichhaltig zu begründen.
Für viele Produkte bewährter Technologien ist dieses Vorgehen geeignet, auch wenn weder MDR noch MDCG 2020-6 direkt auf diese Produkte Bezug nehmen.
MDCG 2020-13 weist darauf hin, dass auch bei Anwendung des Artikels 61(10) der MDR eine klinische Bewertung erforderlich ist. Weiterhin sollen auch in diesem Fall klinische Daten zum Produkt und zu ähnlichen Produkten recherchiert und ausgewertet werden.
Niedrigere klinische Evidenz kann ausreichen
Laut MDCG 2020-6 kann in Ausnahmefällen, besonders für Produkte der Standardversorgung, die mit einem niedrigen Risiko einhergehen und bewährten Technologien entsprechen, ein niedrigerer Grad klinischer Evidenz ausreichen, um die Konformität mit den relevanten Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen zu bestätigen. Unterstützend können klinische Daten aus einer gut durchgeführten Marktüberwachung hinzugezogen werden.
Hier nennt die Richtlinie folgende Arten klinischer Daten, die für Produkte bewährter Technologien möglicherweise ausreichend sein können:
- verlässliche und quantifizierbare klinische Daten zu äquivalenten Produkten
- Auswertung des Stands der Technik einschließlich klinischer Daten; Daten zu ähnlichen Produkten können unterstützend herangezogen werden
- Reklamationen und Daten aus der Marktüberwachung
- Daten aus der proaktiven Marktüberwachung
PMCF oft erforderlich
Für gut etablierte Standardprodukte ohne bekannte Sicherheitsprobleme wurde in der Vergangenheit häufig keine Marktbeobachtung durchgeführt, die den Anforderungen der MDR entspricht. Gleichzeitig sind solche Produkte meist nicht Gegenstand klinischer Forschung, sodass nur wenige oder gar keine klinischen Daten in der Literatur verfügbar sind.
Daher kann es laut MDCG 2020-6 auch für solche Produkte bewährter Technologien – selbst, wenn sie bereits jahrzehntelang auf dem Markt sind – nötig sein, Post-Market Clinical Follow-Up-Maßnahmen durchzuführen, um klinische Daten für die Zertifizierung zu sammeln.
Fazit
- Einfache Medizinprodukte der Standardversorgung können zur Gruppe der „well-established technologies“ (Produkte bewährter Technologien) gehören. Dies ist anhand der Kriterienliste der MDCG 2020-6 zu prüfen und in der klinischen Bewertung darzulegen.
- Zur Begründung anhand der Kriterienliste können Daten ähnlicher Produkte herangezogen werden.
- Eine klinische Bewertung, basierend auf ausreichenden klinischen Daten, ist auch für Produkte bewährter Technologien erforderlich. Hierbei können Daten niedrigerer Evidenzgrade ausreichen.
- In begründeten Ausnahmefällen kann die klinische Bewertung auf Grundlage nicht-klinischer Daten durchgeführt werden.
- Wenn es keine klinischen Daten gibt, können PMCF-Maßnahmen auch für etablierte Produkte bewährter Technologien erforderlich sein, um klinische Daten zu sammeln.
Kontakt
Dr. rer. nat. Marion Fehlker
Director of Operations, Prokuristin
marion.fehlker@novineon.com
+49 7071 / 98979 - 124
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