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So vermeiden Sie häufige Probleme beim IVDR-Konformitätsbewertungsverfahren

Expertentipps

Befinden Sie sich als IVD-Hersteller mitten im anspruchsvollen Prozess der CE-Zertifizierung oder in der Vorbereitung darauf? Sind Sie bei der Umsetzung der Anforderungen der IVDR bereits auf die ein oder andere Hürde gestoßen? Eine aktuelle Umfrage der EU-Kommission bei Benannten Stellen zeigt: Einreichungen werden in großen Teilen als unvollständig bewertet. Dabei gehen wir nicht davon aus, dass die Hersteller bewusst mit eklatanten Lücken in die Einreichung gehen. Aber es wird deutlich: Was unter „Vollständigkeit“ zu verstehen ist, wird von Herstellern und Benannten Stellen unterschiedlich ausgelegt. Im Folgenden zeigen wir Ihnen Möglichkeiten, die Vollständigkeit Ihrer eingereichten Akte sicherzustellen und der Benannten Stelle die Prüfung zu erleichtern.

Trotz verlängerter Übergangsfristen zeitig die Umstellung auf IVDR angehen

Seit dem 26.Mai 2017 ist die Verordnung (EU) 2017/746, im folgenden IVDR genannt, in Kraft. Mit den Verordnungen 2022/112, 2023/607 und 2024/1860 wurden die Übergangsfristen verlängert (siehe auch unsere Fachinformation „Erneute Verlängerung der Übergangsfristen für IVD“). Unsere dringende Empfehlung an alle IVD-Hersteller: nutzen Sie die gewonnene Zeit! Denn nicht nur IVD-Hersteller, sondern auch Benannte Stellen berichten von großen Herausforderungen, die die Anforderungen der IVDR mit sich bringen.

Benannte Stellen melden unvollständige Akten als Hauptproblem

Nicht nur für Hersteller hat sich mit Inkrafttreten der IVDR einiges geändert (für weitere Details siehe Tabelle 1), auch Benannte Stellen stehen vor neuen Herausforderungen. So kommt es durch die Einführung des geänderten Klassifizierungssystems zu mehr Produktzertifizierungen unter Beteiligung Benannter Stellen.

Tabelle 1: Überblick über die geänderten Anforderungen durch die IVDR

Neue / gestiegene Anforderungen gemäß IVDR
Risikobasiertes Klassifizierungssystem A-D. Darüber hinaus werden noch weitere Typen von IVDs (patientennahe Tests, Produkte zur Eigenanwendung und therapiebegleitende Diagnostika) genannt. Außerdem unterliegen nun auch die Eigenherstellung und Verwendung von In-House IVD (auch Lab-Developed Tests oder LDT genannt) den Anforderungen der IVDR.
Konformitätsbewertungsverfahren benötigt nun in vielen Fällen die Beteiligung einer Benannten Stelle. Nur Hersteller von unsterilen Klasse-A-Produkten dürfen die Konformität noch selbst erklären.
Qualitätsmanagement gemäß IVDR Artikel 10 und ISO 13485
Produktspezifische Technische Dokumentation gemäß IVDR Anhang II
Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß IVDR Anhang III
Die IVDR legt einen besonderen Fokus auf die Leistungsbewertung und fordert eine kontinuierliche Überwachung der Leistung und Risiken während des gesamten Produktlebenszyklus. Eine Nachbeobachtung der Leistung nach der Markteinführung (PMPF) wird ebenfalls gefordert.
Zusätzlich zu den harmonisierten Normen gibt es für Hochrisikoprodukte „Gemeinsame Spezifikationen“. Diese definieren spezifische Kriterien für Sicherheit- und Leistungsanforderungen.
Detaillierte Anforderungen an die vom Hersteller gelieferten Informationen, einschließlich Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung gemäß IVDR Anhang I Kapitel III.
Die IVDR berücksichtigt das Thema Software umfangreicher als die IVDD. Verifizierung und Validierung der Software werden benötigt, sowie die Gewährleistung der IT-Sicherheit der Produkte. Software muss gemäß dem UDI-System gekennzeichnet sein. Ebenfalls gibt es spezielle Klassifizierungsregel für Software.
Zur eindeutigen Produktidentifikation müssen IVD gemäß dem UDI-System gekennzeichnet sein und die entsprechenden Informationen in der EUDAMED-Datenbank gespeichert werden.
Bestimmung einer „für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortlichen Person“, Englisch „Person responsible for regulatory compliance (PRRC)“. Somit müssen Hersteller mindestens eine:n Mitarbeiter:in in ihrem Unternehmen benennen, um die Einhaltung der Anforderungen zu kontrollieren.
Außerdem haben sich die Anforderungen an die Dokumentation und Durchführung von (klinischen) Leistungsstudien vervielfacht.

Um die Verfügbarkeit von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika auf dem EU-Markt, im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika aus der Sicht der wichtigsten Interessengruppen, zu überwachen und zu analysieren, hat die EU-Kommission eine Studie zur Datenerhebung in Auftrag gegeben. Diese wurde für 36 Monate geplant, mit Start im Dezember 2022. Im Rahmen des Projekts wurde ein Dashboard eingerichtet, welches die neuesten Daten zusammenstellt. Einen Überblick über die Studie und das studienbezogene Dashboard bekommen Sie hier: Study supporting the monitoring of availability of medical devices on the EU market - European Commission (europa.eu).

Im Bereich IVDR werden Statistiken zu Einreichungen und Zertifizierungen, deren Qualität und Zeitraum, IVDR-Codes etc. gezeigt.

Im Bereich IVDR werden Statistiken zu Einreichungen und Zertifizierungen, deren Qualität und Zeitraum, IVDR-Codes etc. gezeigt.

Im Bereich Qualität und Zeitraum des Dashboards heißt es aktuell (Stand: Februar 2024): 9 von 12 Benannten Stellen melden, dass mehr als 50 % der Einreichungen unvollständig sind. Nur 2 von 12 Benannte Stellen melden, dass mehr als 75 % der Einreichungen vollständig sind (siehe Abbildung 1). Neben der Unvollständigkeit der eingereichten Akten werden weitere Gründe für die Zurückweisung eingereichter Akten genannt, wie zum Beispiel falsche Klassifizierung der eingereichten Produkte, falsches Konformitätsbewertungsverfahren, und andere nicht weiter spezifizierte Gründe. Aus unserer Sicht sind die Informationen oft vorhanden, jedoch nicht in der Form, welche die Benannte Stelle erwartet oder benötigt.

Hinsichtlich des Bearbeitungszeitraums, melden 9 von 12 Benannten Stellen, dass das Konformitätsbewertungsverfahren 13 – 18 Monate dauern, eine von 12 Benannten Stellen gibt einen Zeitraum von 6 – 12 Monaten an und bei zwei von 12 Benannten Stellen dauert es sogar bis zu 24 Monaten, bis die Hersteller mit erteilten QMS- bzw. Produktzertifikaten rechnen können. Diese langen Review Zeiten „frieren die Akte ein“. Produktspezifische Informationen, aber auch Formales, wie z.B. neu veröffentlichte MDCG-Dokumente, können in eine bereits eingereichte Akte nicht eingearbeitet werden.

Fazit

Benannte Stellen melden zwei Hauptprobleme bei Konformitätsbewertungsverfahren:

  • Die Vollständigkeit der eingereichten Akten
  • Die Dauer bis zur Erlangung der Zertifikate

Wie können Hersteller nun einfacher alle Informationen und Dokumente für die Einreichung zusammenstellen und die Benannte Stelle effizient durch den Akten-Dschungel führen, ohne zusätzlichen Dokumentationsaufwand?

Checklisten als Schlüssel­dokumente der Akteneinreichung nutzen!

Hilfestellung soll die MDCG (Medical Device Coordination Group) geben. Sie befasst sich mit den wichtigsten Fragen rund um Medizinprodukte, einschließlich In vitro-Diagnostika, und veröffentlicht dazu die MDGC-Dokumente. Diese geben ein allgemeines Verständnis darüber, wie die MDR und die IVDR in der Praxis angewendet werden sollten, um eine wirksame Umsetzung der Rechtsvorschriften zu erreichen. Im IVD-Bereich gibt es bisher schon MDCG-Dokumente zu den folgenden Themen:

  • Verlängerung der Übergangsfristen (MDCG 2024-4; MDCG 2022-15; MDCG 2022-6; MDCG 2021-4)
  • Klassifizierung von IVDs (MDCG 2024-11; MDCG 2020-16)
  • Leistungsstudien (MDCG 2024-4, MDCG 2022-20; MDCG 2022-19, MDCG 2022-10)
  • Expertengremien für Klasse-D-
  • Produkte (MDCG 2021-22, MDCG 2022-3)
  • Klinischer Nachweis (MDCG 2022-9; MDCG 2022-2)
  • Legacy devices (MDCG 2022-8)

Jedoch sind diese Dokumente nicht rechtsverbindlich und decken bisher nur wenige der unter der IVDR neu hinzugekommenen Anforderungen ab. Daher bleiben viele konkrete Fragen der Hersteller offen. Obwohl Hersteller und auch Benannte Stellen die IVDR nach „bestem Wissen und Gewissen“ interpretieren und umsetzen, liegen die Interpretationen zum Teil weit auseinander.

Einige Herausforderungen sind kurzfristig nicht lösbar, wie z.B. Veröffentlichung klärender MDCG-Dokumente. Andere Lösungen, wie die Nutzung von Checklisten sind bereits verfügbar. Für die Selbstkontrolle können Hersteller Schritt für Schritt den Anhang II durchgehen und prüfen, ob alle Punkte in der eingereichten Akte bedient sind. Auch Benannte Stellen haben dies erkannt und geben als Hilfestellung öffentlich auf ihren Webseiten oder auf Anfrage Checklisten und Best Practices zur Prüfung der Vollständigkeit heraus. Dabei handelt es sich um eine Aufbereitung des Anhang II der IVDR.

Unser Tipp

Nutzen Sie die Checkliste Ihrer Benannten Stelle oder den Anhang II. Legen Sie die TD-Checkliste der eingereichten Akte bei, so sieht auch Ihre Benannte Stelle auf einen Blick, welche Dokumente vorhanden sind.

Nun wissen Sie, dass Ihre Akte vollständig ist, bzw. erkennen, wo es noch Lücken gibt und welche Punkte noch nachgearbeitet werden sollten. Doch das bedeutet noch nicht, dass Ihre Akte inhaltlich vollständig ist, bzw. dass eine Konformität mit den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (GSPRs) nachgewiesen werden kann, wie es in Absatz 4 des Anhang II der IVDR gefordert ist. Zudem müssen Begründungen, für die zur Erfüllung der GSPRs gewählten Lösungen und deren Validierung und Überprüfung vorliegen. Im Anhang I sind die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, die für das Produkt unter Berücksichtigung seiner Zweckbestimmung gelten, festgelegt.

Unser Tipp

Nehmen Sie Anhang I als Vorlage und bearbeiten diesen Schritt für Schritt. Durch die Nutzung dieser sog. GSPR-Checkliste können Sie sich selbst und Ihre Benannte Stelle effizient durch die notwendigen Entscheidungspunkte führen. Sie zeigen damit klar auf, welche GSPRs für Ihr Produkt zutreffen und liefern eine Begründung, warum bestimmte Anforderungen möglicherweise nicht zutreffen.

Fazit

Sie kennen Ihr Produkt und somit die Technische Dokumentation am besten! Legen Sie die bearbeitete TD-Checkliste der eingereichten Akte bei und zeigen Sie, dass Ihre Akte formal alle Punkte nach Anhang II IVDR bedient. So gehört Ihre Einreichung zukünftig zu den 75 % der als vollständig bewerteten!

Mit einer sorgfältig ausgefüllten GSPR-Checkliste können Sie die Benannte Stelle effizient durch Ihre eingereichte Akte führen und wertvolle Zeit sparen. Verwenden Sie die Sprache der IVDR, damit Ihre Benannte Stelle gesuchte IVDR-Begriffe leichter findet. Diese IVDR-Begriffe sollten einheitlich verwendet werden, um Inkonsistenzen vorzubeugen.

Wir stehen Ihnen dabei selbstverständlich gerne zur Seite. Oft sind die Informationen schon vorhanden – es fehlt der Link zu IVDR-Begrifflichkeiten. Gerne ziehen wir das mit Ihnen glatt!

Kontakt

Dr. rer. nat. Nicole Zabel
nicole.zabel@novineon.com
+49 7071 / 98979 - 149

Dr. rer. nat. Nicole Zabel
Consultant
nicole.zabel@novineon.com
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